KWR Kölner Wissenschaftsrunde

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Screenshot Wickenden

#WiRdigital: Digitale OP-Vorbereitung

Nachbericht: Mit Virtual Reality Ängste reduzieren

Am Montag, den 7. März hielt Prof. Dr. Chris Wickenden im Rahmen der Reihe „Wissenschaft im Rathaus“ einen Vortrag zum Thema „Mit Virtual Reality OP-Ängste reduzieren“. Die Veranstaltung wurde unter dem Motto #WiRdigital gestreamed.

Vorab begrüßte Bürgermeister Dr. Ralph Elster zum digitalen Treffen und nannte Beispiele für den Einsatz virtueller Realität im Gesundheitswesen, konkret an der Uniklinik Köln. Hier wurden im Jahr 2020 in der Hochphase der Corona-Pandemie anhand Virtual Reality-Intensivschulungen die Behandlungen von COVID19-Patienten erprobt.

Abtauchen in eine andere Realität
Prof. Wickenden stellte in seinem Vortrag die Möglichkeiten von Virtual Reality (VR) im Gesundheitswesen vor und beleuchtete die Vorteile der neuen Technologie aus Sicht der Patienten. Er erklärte, wie realitätsnah Virtual Reality funktioniert. So tauchen die VR-Brillen-Träger in Welten ein, in denen das Gehirn vorgegebene Realitäten über Augen und Ohren wahrnehmen. „Das Erlebnis ist extrem realistisch. Wir tauchen in Welten ein, wo das Gehirn tatsächlich Wahrnehmungen erfährt, die mit einer vorgegebenen Realität zu tun haben “, so Wickenden. Die Einsätze können im Gesundheitswesen deshalb für den Patienten in zweierlei Hinsichten interessant sein. Zum einen können die Brillen als Therapiemittel eingesetzt werden, beispielsweise zur Bewältigung von Höhenangst. Mittels einer VR-Brille werden Situationen nachgestellt: Der Patient steigt aus einem Auszug aus und läuft in schwindelerregender Höhe über ein virtuelles Brett. So wird der Patient virtuell in eine Stresssituation versetzt, die real wirkt, aber in Wahrheit vollkommen ungefährlich ist und jederzeit abgebrochen werden kann.

Desweiteren kann die Brille in der digitalen OP-Vorbereitung helfen, Ängste vor der bevorstehenden Operation zu reduzieren: Am Tag vor der Operation besteht die Möglichkeit, verschiedene Räume zu zeigen, die sich der Patient anschauen kann. Somit ist der Aufwachraum vorab bekannt und auch im Operationssaal konnte man sich bereits umschauen. Mit der Brille kann sich der Patient um 360 Grad drehen und durch den OP-Raum gehen, sich über die Geräte informieren und diese kennenlernen. Dadurch wird der Raum, in dem der Patient aufwacht, vertraut und bekannt – Ängste werden abgebaut.

Vermeidung von Delir im Aufwachraum
Es kommt immer häufiger vor, dass in der Aufwachsituation eine Panikreaktion oder eine Störung der Aufmerksamkeit (Delir) entsteht. Das Thema Delir ist in Krankenhäusern zu einem immer größeren Problem geworden. Im Zuge der Operation kommt es bei älteren Patienten häufig zu einem postoperativen Gedächtnisverlust, akuter Verwirrtheit und wechselnden Viliganzzuständen. Dieser Zustand wird in der Medizin als postoperatives Delir bezeichnet. Patienten mit einem Delir weisen eine längere Behandlungsdauer im Krankenhaus auf und es besteht noch sechs Monate später eine doppelt so hohe Letalität. In der Virtual Reality (VR) Anwendung sieht Wickenden eine große Chance, eine beruhigende Wirkung nach einer Narkose im Aufwachraum zu erzielen.
Mithilfe der Technologie wird der Patient zunächst informiert. Das Gerät erklärt über Stimme und Animation die aktuelle Situation und das weitere Vorgehen. Zusätzlich kann die Stimmung durch beruhigende Musik und positiv belegte Orte positiv stimuliert werden.

In der postoperativen Simulation ist das Ziel, mit Virtual Reality Entspannung und Orientierung in der Aufwachsituation zu schaffen. Gleich nach der Operation soll mit meditativen Maßnahmen eine beruhigende Stimmung beim Wachwerden entstehen. Bei der Abnahme der Brille kann es dennoch zur kognitiven Einschränkung, zu Delir, kommen, deshalb sei es wichtig, so Wickenden, den Patienten mittels VR-Brille bereits im Vorfeld der Operation auf die Situation vorzubereiten.

Steigendes Interesse

Virtual Reality existiert bereits seit 60 Jahren, vor 10 Jahren hat sich die technologische Brille im Gaming-Bereich gefestigt. Mittlerweise gibt es ein breites Angebot, im Gesundheitswesen wird sie allerdings noch nicht häufig eingesetzt. Das Interesse und der Bedarf steigen allerdings stetig. So sei besonders beim Thema „Senioren“ im Gesundheitswesen ein steigendes Interesse an VR-Brillen festzustellen.

Fragen und Antworten
Kann das Krankenhauspersonal durch die VR-Brillen entlastet werden und macht sich der Aufwand bezahlt?
„Der wirtschaftliche Aspekt ist natürlich ein großes Thema im Krankenhaus, nicht nur, was die postoperative Behandlung von Delir-Patienten betrifft. Im Moment ist es so, dass die Vorbereitungen auf Operationen und die Maßnahmen, die zur Reduktion von Delir führen können, mit sehr großem Aufwand vom Personal durchgeführt werden. Hier sind grundsätzlich drei bis vier Personen pro Patienten involviert und wir konnten feststellen, dass Delir zu einem zusätzlichen Aufwand für das Krankenhauspersonal geworden ist. Mit dem Einsatz einer VR-Brille könnte man dies durch eine Verteilung mehrerer Brillen oder das Angebot, die Brille zu Hause zu nutzen, stark reduzieren.“

Gibt es erste Ansätze, Augmented Reality einzusetzen?
„Augmented Reality wird eher in Trainingssituationen eingesetzt. Augmented Reality ist eine Mischung aus Virtual Reality und der Realität, das heißt: Wir nehmen die Realität durch ein Tablet gleichzeitig in einer virtuellen Realität wahr. Für die Behandlung im Zusammenhang mit dem Delir halte ich Augmented Reality für problematisch, da der eigentliche Ansatz die Immersion (das Eintauchen) ist, das heißt: Ich tauche in etwas ein, womit ich von der Umgebung ausgeschossen werde und bekomme eine neue in sich geschlossene Realität für mich angeboten, womit ich mich dann voll auf das konzentrieren kann, was mir angeboten wird und ich nicht abgelenkt werde.“

Taucht das Delir auch manchmal nach der Aufwachsituation auf und kann der Einsatz von VR-Brillen dann auch nach der Aufwachsituation das Delir verhindern?
„Es gibt keinen festgelegten Zeitpunkt für das Eintreten von Delir. Bei dem einen taucht das Delir kurzfristig und intensiv auf, bei anderen später und vielleicht nicht sehr intensiv, das ist sehr unterschiedlich. Wir erhoffen uns durch die VR-Brillen, dass Delir durch das im Vorfeld geschaffene Vertrauen weniger häufig auftritt. Ganz ausschließen kann man es leider nicht, denn die Problematik hat extrem zugenommen. Das liegt an der zunehmenden Zahl ältere Patienten, deren Bedarf an Versorgung extrem gewachsen ist. Wir gehen aber davon aus, dass auch hier eine Reduktion möglich ist.“

Gab es wahrnehmbare Unterschiede bei der Wirkung von realen Szenarien und abstrakten Situationen?
„Was die 3D-Animation anbetrifft, ist es davon abhängig, wie gut die Qualität ist. Je feiner die grafische Qualität ist, desto realer erscheint die Szenerie und damit fängt die Wirkung an. Inzwischen sind 3D-Animationen so real, dass man den Unterschied nicht erkennt. Dazu kommt der Ton, der auch sehr entscheidend ist – ob es eine Stimme, Musik oder Naturgeräusch ist.“

Wie groß ist bei Ihrer Studie der Anteil der VR-Spezialisten und der medizinischen Seite?
„Die Handhabung von VR ist wesentlich einfacher geworden. Sobald die Brille aufgesetzt wird, läuft das Programm wie von selbst ab. Es muss natürlich eine gewisse Einweisung stattfinden und es gibt einen gewissen redaktionellen betreuenden Aufwand, aber die technischen Voraussetzungen werden immer geringer. Die Geräte sind immer einfacher zu bedienen, wir haben auch mit Senioren sehr gute Ergebnisse bezüglich der Handhabung erzielt.“

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Krankenkassen dem Einsatz von VR-Brillen zustimmen?
„Wenn man sich die Verlängerung von Krankenhausaufenthalten durch ein Delir anschaut, kann man sich vorstellen, dass da die Kosten explodieren. Die Brillen sind gar nicht mehr so teuer, Kosten entstehen lediglich durch die Vorbereitung und Betreuung, aber diese sind überschaubar.“

Wer entscheidet, welche*r Patient*in die VR-Brille bekommt?
„Das ist von Klinik zu Klinik unterschiedlich und hängt von der Bereitschaft der jeweiligen Leitungen ab, neue Wege zu gehen. Letztlich entscheiden die leitenden Ärzte, die voran gehen, ausprobieren und neue Technologien in Anspruch nehmen. Da sind die Ärzte sehr individuell mit ihren Vorstellungen.“

ZUR PERSON
Prof. Wickenden zog für sein Studium „Visuelle Kommunikation“ an der FH Düsseldorf von Cambridgeshire nach Deutschland. Danach war er 17 Jahre als Art Director in Köln, Düsseldorf, Kapstadt und Thailand tätig sowie als freier Künstler, Designer und Dozent aktiv. Seit 2007 ist er Dozent an der Hochschule Fresenius. Er entwickelte dort 2013 den BA-Studiengangs 3D-Design & Management im Fachbereich Wirtschaft & Medien und wurde 2016 Professor für Kommunikationsdesign. Zeitgleich gründete er das skip – Institut für angewandte digitale Visualisierung e.V. Seit 2019 ist er Studiendekan des neuen Master Studiengangs Digital Psychology (M.Sc.).

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