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Sportentwicklung NRW

Gedächtnisspeicher für den Sport

Die Erinnerungen von Menschen sind eine wichtige Ressource, um Wissen über die Vergangenheit zu bewahren. Zeitzeug*innen sind aus den Geschichtswissenschaften bekannt; das Fernsehen setzt sie klassischerweise in Dokumentationen ein; in der Sportwissenschaft sind Zeitzeug*innen als „Gedächtnisspeicher“ weniger präsent. Ein Pionierprojekt der Deutschen Sporthochschule Köln hat sich dieser Idee bedient und gemeinsam mit dem Deutschen Sport & Olympia Museum Zeitzeug*innen aus Nordrhein-Westfalen interviewt. Herausgekommen ist eine emotionale und persönliche Dokumentation des Sports und der Sportentwicklung in NRW.

„Eine Dortmunder Städtepartnerschaft ist Leeds in England. Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll. Da war zum Schluss dann so eine Strecke, die bergauf ging. Und als ich das sah, habe ich wohl zu meiner Kollegin nebenan gesagt: ‚Scheiße!‘ Und sie sagt: ‚Also, das hast du noch nie gesagt! Das kann ich in Dortmund auch nicht erzählen, dass du so etwas gesagt hast!‘ Aber es war eben aus dieser Anstrengung heraus. Als man diesen Berg dann noch einmal sah. Das war der Leeds-Marathon […].“ Diese Anekdote stammt von einer der bekanntesten Dortmunderinnen überhaupt: Elisabeth Brand, geboren 1935, engagierte sich als Sportfunktionärin und als eine der ersten Frauen in der Lauf- und Trimm-Dich-Bewegung in Nordrhein-Westfalen (NRW). Sie ist eine von 65 Zeitzeug*innen, die im Rahmen eines Forschungsprojekts ihre Sportgeschichte(n) erzählen.

NRW ist eine der bewegungsfreudigsten Sportregionen der Welt. Das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands ist Heimat von rund 18.000 Sportvereinen, zahlreichen Profiklubs und zehntausenden Athlet*innen im olympischen und paralympischen Sport. Doch: „Die regionale Dimension des Sports ist weitgehend unbeachtet, es gibt darüber so gut wie keine Publikation“, beschreibt Univ.-Prof. Dr. Jürgen Mittag (Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung), der das Vorhaben gemeinsam mit Dr. Andreas Höfer verantwortet (Direktor des Deutschen Sport & Olympia Museums), den Ausgangspunkt für das Projekt. „Gerade, wenn wir über den Freizeit- und Breitensport sprechen, also jenseits des Spitzensports und der Sportförderung auf Bundesebene, dann sind es die Landessportbünde, die Sportvereine und die im Sport engagierten Personen, die in ganz erheblichem Maße für die Organisation und Ausgestaltung des Sports verantwortlich sind.“ Um dieses sportkulturelle Erbe NRWs zu bewahren und die Informationen langfristig zu sichern, haben Prof. Mittag und Dr. Höfer mit ihrem Team 65 Zeitzeug*innen interviewt. Darunter Menschen aus dem Fußball, der in NRW durch das Ruhrgebiet besonders präsent ist, aber auch viele weitere im Sport engagierte Personen. […]

Über 200 Personen identifizierte das Projektteam zunächst nach umfangreicher Recherche als potenzielle Zeitzeug*innen. Bei der Auswahl der finalen 65 achtete das Projektteam auf eine möglichst repräsentative Verteilung, das heißt die Personen bilden verschiedene Sportarten, Regionen, Hierarchien und Funktionen ab. Gerade im Sport spielen Zeitzeug*innen eine wichtige Rolle, ist Prof. Mittag überzeugt, denn Sport und Bewegung hätten vielfach einen eher informellen Charakter. Während Spitzensport, also Olmpiasieger*innen und Weltmeister*innen, gut dokumentiert seien, passiere der sportliche „Alltag“ häufig jenseits formalisierter und institutioneller Formen. „Sport mobilisiert, aber Sport gerät auch relativ schnell in Vergessenheit; daher ist die Figur des Zeitzeugens für uns und für den Sport in NRW so bedeutsam!“ […]

Die Zeitzeug*innen ermöglichen einen persönlichen und emotionalen Zugang zum Thema „Sport in NRW“. Die Interviews wurden professionell gefilmt; Ausschnitte aus den Videos stellt das Projektteam auf einer umfangreichen Webseite zur Verfügung. Hier sind alle Zeitzeug*innen auf einer eigenen Seite inklusive Bild und Kurzbiografie zu finden. Schriftliche Auszüge aus den Gesprächen sind dort nachlesbar. Zudem ist geplant, dass alle Interviews komplett verschriftlich und diese Transkripte ebenfalls auf der Webseite veröffentlicht werden. Hiermit möchten die Forscher höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden, alles wird hier jederzeit von jedem nachlesbar sein. „Das ist unser Beitrag zur Nachhaltigkeit; das ganze Wissen wird als Vermächtnis gesichert, sodass es zum Beispiel für Wissenschaft, Bildung, Museen, Kultur sowie Medien- und Öffentlichkeitsarbeit langfristig nutzbar ist. Damit möchten wir sicherstellen, dass die Erinnerungen und das Wissen über den Sport in NRW im kulturellen Gedächtnis der Region lebendig bleiben“, sagt Projektleiter Jürgen Mittag. Eine weitere Idee ist, die aufgezeichneten Interviews auch den Besucher*innen des Deutschen Sport & Olympia Museums auf moderne Weise zugänglich zu machen, zum Beispiel über Augmented Reality, also eine Ausstellung der Zeitzeug*innen im Museum, die mit Hilfe einer Smartphone-App vor Ort durch digitale Elemente ergänzt werden kann. Das Projektteam bemüht sich gegenwärtig um eine längerfristige Förderung des Projekts, um den Gedächtnisspeicher weiter zu füllen. Das Projekt mit der fertigen Webseite wird im Rahmen einer Veranstaltung am 21. Oktober 2022 im Deutschen Sport & Olympia Museum vorgestellt.

Vollständige Quelle: DSHS Köln