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#WiRdigital: 10 Erkenntnisse

Informiert und selbstbestimmt die letzte Lebensphase gestalten

Am 11.01.2021 fand im Format „WiR Wissenschaft im Rathaus“ die erste Onlineveranstaltung #WiRdigital in diesem Jahr statt. Prof. Dr. Raymond Voltz von der Uniklinik Köln stellte zehn praxisrelevante Erkenntnisse zur Gestaltung eines selbstbestimmten Lebensendes vor.

1 – Es wird mich betreffen.
Die meisten Menschen wünschen sich, wenn man sie fragt, einen schnellen und plötzlichen Tod. Laut Statistik passiert dies jedoch nur bei einem Drittel der Todesfälle. Pro Jahr stirbt ca. 1% der Bevölkerung durchschnittlich im Alter von 77,7 Jahren. Davon versterben zwei Drittel mit oder an einer bekannten Erkrankung. Für diese Menschen wird es eine Lebensphase geben, die innerhalb der kommenden Monate, also im „letzten Lebensjahr“ zum Tod führt. Dieses wird von verschiedenen Krankheitsverläufen geprägt und von unterschiedlichen Einrichtungen/Akteuren (Krankenhäusern, Rehakliniken, Pflegeheimen, Hospize, private Pflege) begleitet. Dazu zählt später auch die Trauerbegleitung der Angehörigen. Die Wahrscheinlichkeit eine solche letzte Lebensphase zu durchleben, ist demnach recht hoch.

2 – Ich brauche geeignete Informationen.
Information sind in der Begrifflichkeit nicht immer ganz eindeutig und werden mitunter falsch verstanden. Wenn beispielsweise von einer „Verdoppelung der Lebenszeit“ gesprochen wird, heißt das möglicherweise in absoluten Zahlen, dass ein Kranker statt nur noch drei Monate mit der Behandlung noch sechs Monate weiterleben kann. Eine Zeitspanne, in der eine Vorbereitung auf den Tod kurz ist. Um so wichtiger ist es, über absoluten Zahlen zu sprechen, damit der Kranke und dessen Angehörige sich keine falschen Vorstellungen machen. Gezieltes nachfragen, kann dabei helfen, die geeigneten Informationen zu erhalten.

3 – Ich wünsche rechtzeitige Gespräche über Endlichkeit.
Ein Kölner Umfrage hat ergeben, dass viele Betroffene sich über die Todesdiagnose nicht oder viel zu spät informiert fühlten. Immerhin wurden mehr als die Hälfte der Befragten sechs Monate bis zu einem Jahr vor dem Tod informiert. Eine gute Zeitspanne, um sich mit der Familie auf das Ableben vorbereiten zu können. Informationsgespräche über die Endlichkeit sollten Erwartungen abgleichen und offen besprechen, um mit der Behandlung zufrieden zu sein und sich mit Würde behandelt zu fühlen.

4 – Nicht mehr alle Therapien sind für mich sinnvoll.
Der Arzt sollte seine Behandlungsvorschläge an die tatsächlichen Gegebenheiten anpassen und einen sterbenden Patienten nicht übertherapieren. Eine ehrliche Aufklärung ist sinnvoll und die Überlegung, wie eine würdevolle Begleitung der Krankheit aussehen kann. Auch wenn ein Therapiewunsch vorhanden ist, sollte die Sinnhaftigkeit der medizinischen Maßnahmen abgewogen werden. Der Patient muss dem Therapieziel und allen medizinischen Maßnahmen zustimmen, er hat aber auch jederzeit die Möglichkeit eine Therapie abzulehnen.

5 – Auch meine Ärzte können Zukunft nicht vorhersehen.
Es gibt Phasen im Krankheitsverlauf, in denen die Erfolgschancen bei 50 zu 50 liegen, also eine Phase klinischer Unsicherheit vorliegt. In diesem Fall ist es sinnvoll in beide Richtungen zu blicken und den Betroffenen „the best of both worlds“ zu bieten. Das bedeutet auf der einen Seite bestmöglich auf eine mögliche Heilung oder Lebensverlängerung zu therapieren aber auch gleichzeitig palliativ zu begleiten.

6 – Auch „Nichts-Tun“ kann richtig sein.
Nichts-Tun ist hier so zu verstehen, dass es keine Therapie mehr gibt die das Leben retten kann. Der Wunsch, dass man da doch etwas gegen den nahenden Tod machen muss, kann einfach nicht mehr erfüllt werden. Aber natürlich bleibt man dennoch aktiv. Gemeinsam mit vielen Berufsgruppen wird der Betroffene und seine Angehörigen palliativ-hospizlich begleitet.

7 – Gesundheitssystem ist oft (noch) nicht gut vorbereitet.
Nicht die Mitarbeiter*innen sind nicht gut vorbereitet, sondern vielmehr die Strukturen und Leitlinien, die nicht mitbedenken, dass eine Erkrankung auch in absehbarer Zeit zum Tode führen kann. Oft sterben wir in Deutschland noch im Krankenhaus, auch wenn die meisten sich ein Sterben zu Hause wünschen. Ein Sterben zu Hause kann aber auch meistens organisiert werden, es muss nur rechtzeitig daran gedacht werden. Die Versorgungszufriedenheit mit den einzelnen Gesundheitsstrukturen ist recht unterschiedlich, von sehr gut bei Palliativ- und Hospiz zu nicht so gut im Krankenhaus.

8 – Ich darf Todeswünsche haben – das ist normal.
Es ist völlig normal in der letzten Phase den Zeitpunkt des Todes mitbestimmen zu wollen. Diese Wünsche sollten angehört und ernst genommen werden. Zuhören und das entsprechende Verständnis sind gefragt. Die Rechtslage ermöglicht viele Formen einer „Sterbehilfe“ außer Tötung auf Verlangen. In den Leitlinien der Palliativmedizin wird empfohlen, mögliche Todeswünsche aktiv anzusprechen. Das Personal sollte für ein solches Gespräch entsprechend geschult sein. Dadurch wird kein Suizidgedanke ausgelöst, sondern ein Gesprächsangebot geschaffen.

9 – Zu Hause sterben ist möglich.
69 % der Betroffenen wünscht sich zuhause zu sterben. Jedoch nur 28 % sterben dann tatsächlich zuhause. Die meisten schwer Erkrankten sterben tatsächlich im Krankenhaus. Im gesamten letzten Lebensjahr verbringen die Betroffenen nur zu 5% ihre Zeit mit Strukturen des Gesundheitssystems, mit 95% jedoch mit Freunden, Familie, Nachbarn, Gemeinden, Vereine, Arbeitsstätte usw.. Um die bestehenden Hilfsangebote zu bündeln und zu verbessern, können Initiativen der Sorgekultur hilfreich sein, in Köln die Initiative „Caring Community Köln“ (https://caringcommunity.koeln/).

10 – Ich darf meine Meinung ändern.
Wenn wir gesund sind, nehmen wir an, unter bestimmten Umständen auf eine bestimmte Weise zu reagieren, doch werden wir krank, kann sich unsere Sichtweise durchaus ändern. Darüber sollte man sich nicht ärgern. Denn die Vorstellung von der Zukunft und die Realität unterscheiden sich häufig. Frühere Ansichten werden überdacht und revidiert. Eine Patientenverfügung macht daher für einen gesunden Menschen auch nur bedingt Sinn. Denn können wir uns wirklich vorstellen, wie es sein wird, wenn wir todkrank werden?

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