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Hinter den Kulissen: Prof. Schneider

Forschende aus Köln stellen sich vor

Kurzinterview mit Prof. Dr. Dr. Stefan Schneider von der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS)

Prof. Schneider Sie leiten an der Deutschen Sporthochschule Köln das Zentrum für integrative Physiologie im Weltraum (ZiP). Welche Ziele verfolgt das Institut und was sind Ihre Aufgaben?
Die DSHS beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit den Auswirkungen extremer Umweltbedingungen auf die menschliche Physis und Psyche. Im Zentrum stehen dabei die Auswirkungen reduzierter Schwerkraft und Isolation während Langzeitaufenthalten im Weltraum auf das muskuloskelettale System und die mentale Performanz. In Kooperation mit dem European Astronaut Center (EAC) und nationalen wie internationalen Weltraumagenturen konnten wir in den vergangenen Jahren eindrücklich zeigen, dass Sport und Bewegung nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit während Weltraummissionen aufrechterhält, sondern auch zu Wohlbefinden sowie zum Erhalt und zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit beiträgt. Beteiligt sind wir an simulierten Isolationsstudien wie der Mars 500 Studie in Russland oder der HERA Studie der NASA ebenso wir an reellen Isolationsszenarien wie beispielsweise einer Überwinterung in der Antarktis.

Sie sind auch Koordinator des internationalen Verbundprojektes Denksport. Was kann man sich unter dem Projekt vorstellen und woran forschen Sie derzeit?
Die Ursachen einer Demenzerkrankung sind vielfältig und die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Die familiäre Vorbelastung hat einen großen Einfluss, ebenso Umweltbedingungen und der persönliche Lebensstil.

Neurobiologische und verhaltenswissenschaftliche Studien der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass körperliche Aktivität und Sport die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern und – insbesondere im Alter – zur Steigerung der Lebensqualität und einem selbstständigen Lebensstil beitragen. Neben kurzzeitigen funktionalen Effekten finden sich vermehrt Hinweise darauf, dass ein aktiver Lebensstil auch strukturelle Veränderungen in der Gehirnsubstanz mit sich bringt und damit neurodegenerativen Erkrankungen wie beispielsweise einer Demenzerkrankung vorbeugen kann, bzw. deren Verlauf positiv beeinflussen kann. Epidemiologische Studien belegen, dass ein körperlich aktiver Lebensstil, insbesondere im mittleren Alter (30 bis 60 Jahre), das Risiko mindert, an einer altersbedingten Demenz zu erkranken.

Das Projekt DenkSport richtet sich an Menschen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen. Es zielt darauf ab, die Effekte eines gesundheitsorientierten Sport- und Bewegungsprogramms bei älteren Menschen mit beginnender kognitiver Beeinträchtigung – häufig die Vorstufe einer Demenz – zu erfassen. Die Ergebnisse unseres Projekts zeigen in der Tat, dass ein intensives Sporttreiben im Alter, den Verlauf einer beginnenden Demenz positiv beeinflussen kann. Körperliche Fitness im Alter verhindert Gebrechlichkeit, fördert körperliches Selbstvertrauen und ermöglicht ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben.

Aufgrund der Pandemie haben sich viele Menschen nicht mehr ausreichend bewegt. Inwieweit beeinflusst Bewegung unser Gehirn?
In der gegenwärtigen Pandemie erlebe ich zwei ganz unterschiedliche Probleme: Erstens, Menschen, die wirklich isoliert sind, weil ihre unmittelbaren Sozialkontakte wegbrechen. Und zweitens Menschen, die als Familienteam funktionieren müssen, auf engstem Raum und ohne die Möglichkeit dieser Konstellation zu entfliehen. Diejenigen, die zu viel Zeit mit sich selbst haben, tut es gut, dass zeigen unsere Studien, aber auch die anekdotischen Berichte von Freunden und Bekannten, sich zu bewegen. Das ermöglicht eine gezielte Defokussierung von den eigenen (scheinbaren) Problemen, weil es auf einmal ganz andere Dinge zu verarbeiten gibt (Umwelteinflüsse, die Konzentration auf die Bewegung). Man kennt dieses Phänomen auch aus der Arbeit mit Depressionspatienten als Ausweg aus der Grübelspirale. Für die andere Gruppe, diejenigen, die im engsten sozialen Kreis täglich aufeinander hocken, kann Sport und Bewegung eine Auszeit der Verantwortung bedeuten. Eine Stunde laufen/Rad fahren/spazieren gehen, eine Stunde Zeit für sich selbst zu haben rückt die Welt in ein anderes Licht.

Sport und Bewegung haben aber nicht nur kurzfristige Effekte, steigern nicht nur die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit und fördern das emotionale Wohlbefinden, sondern fördern auch langfristig eine strukturelle Neuroplastizität und helfen damit dem Gehirn “jung zu bleiben“.

Sie sagen, wir können von den Astronauten lernen. Was haben Sie persönlich von ihnen gelernt?
Es geht mir hier weniger um die persönlichen, kleinen Dinge, die wir lernen können. Vielmehr möchte ich unsere – manchmal scheinbar „abgehobene“ – Forschung im Weltall verstanden wissen als Modell, an dem wir lernen können: Was passiert, wenn wir uns zu wenig bewegen? Und wie können wir gezielt, fokussiert und mit wissenschaftlicher Evidenz vorgehen, um den körperlichen und mentalen Problemen des Bewegungsmangels entgegen zu wirken. Bewegung ist wichtig für alle Generationen. Für die kognitive Entwicklung unserer Kinder, das Wohlbefinden im Job und der Familie bis hin zur Demenzprävention im Alter.

Die Extrembedingungen Schwerelosigkeit und Isolation wirken wie ein Brennglas auf die (neuro-)physiologischen Veränderungen und ermöglichen es uns, unter extrem kontrollierten Bedingungen diese Veränderungen zu dokumentieren und entsprechende Gegenmaßnahmen zu definieren.

ZUR PERSON
Prof. Dr. Dr. Stefan Schneider ist promovierter Sportwissenschaftler und Theologe. Für seine Habilitationsschrift zur Auswirkung körperlicher Aktivität auf neurokognitive und neuroaffektive Prozesse wurde er mit dem Wissenschaftspreis des Deutschen Olympischen Sportbundes ausgezeichnet. An der Deutschen Sporthochschule Köln leitet er das Zentrum für integrative Physiologie im Weltraum (ZiP) und ist Koordinator des internationalen Verbundprojektes Denksport.