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© KISD

Hinter den Kulissen: Prof. Mager

Forschende aus Köln stellen sich vor

Kurzinterview mit Prof. Birgit Mager von der Köln International School of Design (KISD), TH Köln

Prof. Mager, Sie sind Professorin für das Lehrgebiet Service Design. Was verbirgt sich hinter dieser Disziplin und welcher Forschungskontext ergibt sich daraus?
Das Lehrgebiet Service Design wurde Anfang der Neunzigerjahre als weltweit einzigartige Innovation an der TH Köln eingeführt. Es befasst sich mit der systematischen kunden- und nutzerorientierten Gestaltung von Dienstleistungssystemen. Unsere Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert, und es ist offensichtlich, dass wir in komplexen Systemen leben und im Grunde alles in diesen Systemen als Dienstleistung betrachtet werden kann. Wir sind umgeben von miteinander verbundenen Systemen aus materiellen und nicht-materiellen Artefakten, die bei der Nutzung einen Wert darstellen. Was wäre eine Glühbirne ohne das komplexe System von Dienstleistungen, mit dem sie verbunden ist? Oder ein Auto? Was wäre das Auto ohne Tankstellen, ohne Versicherung, ohne Bildung, ohne Polizei, ohne Wartung, ohne Autowaschanlage? Wir sind eingebettet in Wertesysteme, die sich aus materiellen und nicht-materiellen Artefakten zusammensetzen. In der Vergangenheit hat sich das Design auf die materiellen Artefakte konzentriert und die nicht-materiellen Artefakte haben sich natürlich entwickelt. Manchmal geschah dies auf eine wirklich schöne und nutzerzentrierte Weise, aber es gab keinen systematischen Ansatz für die Gestaltung von Dienstleistungen. Und das ist es, was Service Design leistet. Es ist ein systematischer Ansatz für die Choreographie von Prozessen, Technologien und Interaktionen innerhalb komplexer Systeme, um gemeinsam Werte für die verschiedenen Beteiligten zu schaffen. Und mehr und mehr müssen wir die natürliche Umwelt als einen dieser Stakeholder wahrnehmen, den wir bei der Gestaltung mit einbeziehen müssen.

Bevor man eine Dienstleistungsinnovation in die Tat umsetzen kann, muss man die Systeme und die Beteiligten verstehen, man muss sie erforschen! Um einen Wandel herbeizuführen, ist es wichtig, interdisziplinäre, siloübergreifende Erkenntnisse zu gewinnen. Service Design ist ein systematischer Prozess zur Entwicklung von Ideen und Konzepten für die Zukunft, die dann iterativ in Prototypen umgesetzt und getestet werden. Auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der Exploration hilft Service Design, Visionen für die Zukunft zu entwickeln.

Das Vorstellen/Realisieren von Visionen hilft, gemeinsame Energie und Richtung zu schaffen. Szenarien, Storyboards, Enactments und Prototypen machen die noch nicht existierende Zukunft greifbar. Service Designer*innen sind nicht notwendigerweise die Expert*innen für die Lösung, oft sind sie die Vermittler*innen von Gesprächen, die zu den bestmöglichen Lösungen innerhalb komplexer Systeme führen. Die Visualisierung, der Bau von Prototypen und das Testen dieser Prototypen führt zu einer völlig anderen Art von Gesprächen. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich Service Design zu einem Mittel für kulturelle und organisatorische Veränderungen entwickelt. Service Design ist im besten Fall keine „einmalige Sache“, kein spezifisches Projekt. Im besten Fall ist es ein fortlaufender Prozess, der in die DNA einer Organisation eingebettet ist. Interdisziplinäres Arbeiten, die Konzentration auf die Nutzer*innen, die Befähigung der Mitarbeiter*innen, gemeinsam mit der Organisation und den Endnutzer*innen Dienstleistungen zu entwickeln, Testen, Verbessern: Es ist ein fortlaufender Prozess und nicht nur eine einmalige Intervention.

Welche Aspekte am Thema Service Design faszinieren Sie am meisten?
Zum einen fasziniert mich die rasante Entwicklung des Themenfeldes. Im Laufe der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte hat sich das Thema Service Design weltweit enorm ausgebreitet, es werden heute an Hochschulen in aller Welt Bachelor- und Master-Studiengänge sowie Doktorandenprogramme angeboten. Seit 2007 gibt es einen schnell wachsenden Stellenmarkt, nicht nur Design-Agenturen, auch Unternehmensberatungen und Organisationen im öffentlichen und privaten Sektor bauen Service Design Kompetenzen auf und richten Stellen und Abteilungen ein. Und das Wissen ist mit unglaublicher Geschwindigkeit gewachsen – deutlich nachzuvollziehen an der wachsenden Zahl von Publikationen und Fachveranstaltungen. Das hat auch damit zu tun, dass Service Design extrem viel Energie, Begeisterung und Motivation auslösen kann. Nicht Opfer der Umstände, sondern aktiver und kreativer Gestalter zu sein – das bringt Kraft und macht sogar Spaß! Es ist einfach toll zu sehen, wie Veränderungen in Gang kommen, die sich am Menschen orientieren und nicht an den Technologien.

Was sind heute die zentralen Faktoren für erfolgreiche Dienstleistungen und welche Rolle übernimmt das Service Design?
Zunächst einmal ist es essenziell, dass Anbieter*innen einen konsequenten Nutzer*innenfokus praktizieren. Dieser Perspektivwechsel ist ein erster Schritt, und er muss ganzheitlich vollzogen werden. Das bedeutet, die Reise des Kunden oder Nutzers kontextuell zu betrachten und dabei die Silos, die auf dieser Reise häufig innerhalb von Organisationen bestehen, systematisch zu überbrücken. Unternehmen müssen also ihre Dienstleistungen interdisziplinär über die Zeit und die verschiedenen Kanäle hinweg gestalten. Dabei sind Technologien sinnvoll zu nutzen und als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck zu begreifen. Kontinuierlicher Dialog mit den Nutzer*innen in der Entwicklung, der Umsetzung und in der Evaluation von Dienstleistungen ist ein weiterer zentraler Faktor für den Erfolg einer Dienstleistung.

Service Design übernimmt in diesem Prozess zum einen den Explorations- oder Forschungsanteil. Das geschieht, indem es die Nutzer in den Prozess bringt und dafür sorgt, dass interdisziplinäre Prozesse so gestaltet werden, dass eine gemeinsame Sprache gefunden wird. Hierdurch wird die Komplexität, die fast immer in Dienstleistungssystem herrscht, durchdrungen. Darüber hinaus übernimmt Service Design den kreativen Prozess und sorgt dafür, dass innovative Lösungen entwickelt werden.

Wie kritisch sind Sie privat, wenn Sie selbst Dienstleistungen in Anspruch nehmen?
In der Tat bin ich sehr kritisch, wenn ich Privatdienstleistungen nutze und sehe natürlich überall die Chancen für Innovation! Allerdings versuche ich häufiger diese Brille abzulegen, sonst kann man sich den Spaß an dem ein oder anderen verderben.

Was machen Sie am liebsten, wenn Sie nicht gerade arbeiten?
Privat interessiere ich mich sehr für Kunst und verbringe gerne Zeit in der Natur. Egal ob Wandern, Schwimmen oder Kayakfahren – Hauptsache in Bewegung! Das ist auch wichtig als Gegenpol, denn ich bin leidenschaftliche Köchin und genieße sehr gerne gutes Essen und einen guten Wein.

ZUR PERSON
Prof. Birgit Mager ist seit 1995 für das Lehrgebiet „Service Design“ an der Köln International School of Design der TH Köln zuständig. Sie ist Präsidentin des internationalen Service Design Networks und lehrte bereits in Hongkong, Wuxi, Tokio, Kapstadt, Pittsburgh, Sarasota, London, Stockholm, Kopenhagen, Helsinki, Mailand, Zürich und Wien. Sie führte die Kölner Muehlens KG als Leiterin der Personal- und Organisationsentwicklung durch einen umfassenden Restrukturierungsprozess, Hewlett Packard unterstützte sie in verantwortlicher Position mehrere Jahre als Organisations- und Personalentwicklerin. In den vergangenen Jahren hat Birgit Mager vielfältige Forschungsprojekte, Kongresse, Publikationen, Seminare und Ausstellungen zum Thema „Service Design“ ins Leben gerufen und durchgeführt, darunter die weltweit größte „Service Design Conference“ für Service Design und Innovation. Im Jahr 2021 wurde sie mit der renommierten Sir Misha Black Medal der Royal Commission 1851 ausgezeichnet.