KWR, Kölner Wissenschaftsrunde

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Foto © Lorey

Hinter den Kulissen: Prof. Lorey

Forschende aus Köln stellen sich vor

Kurzinterview mit Prof. Dr. Isabell Lorey von der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM).

Prof. Lorey, Sie sind Professorin für „Queer Studies in Künsten und Wissenschaft“ an der KHM. Erklären Sie doch bitte kurz, was sich dahinter verbirgt.
Queer Studies an der KHM sind transdisziplinär und identitätskritisch. Ich komme aus der Philosophie, der politischen Theorie und der Ethnologie und befasse mich seit vielen Jahren mit politischer Ökonomie. Ich habe nicht nur in diesen Disziplinen international unterrichtet, sondern zudem in den Kunst- und Kulturwissenschaften, der Soziologie und in den Gender Studies. Meine wissenschaftliche Praxis ist nicht auf eine universitäre Disziplin beschränkt und zeigt, dass Queer Studies quer und transversal zu voneinander abgegrenzten Disziplinen zu verstehen ist. Das ist für eine Kunsthochschule wie der KHM ideal, weil wir nur wenige wissenschaftliche Professuren haben, diese aber in unserem Selbstverständnis essentiell sind für die Ausbildung von Künstler*innen.
Transdisziplinäre Queer Studies sind thematisch nicht beschränkt, sehr vereinfacht gesagt stellen sie das, was als normal gilt und was sich als unhinterfragte Normen etabliert hat, aus verschiedenen Perspektiven in Frage. Wichtig ist, verstehen zu lernen, wie die Festlegung von eindeutiger heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit historisch mit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und kapitalistischer Verhältnisse verschränkt ist, und wer dann als abweichend und „unnormal“ diskriminiert und ausgeschlossen wird. Wer sind die „Anderen“ dieser „normalen“ und eindeutigen heterosexuellen Konstruktionen von Identität? Queer Studies an der KHM hinterfragen deshalb jeglichen Bezug auf Identitäten.

Woran forschen Sie aktuell und wer sind die Nutznießer der zu erwartenden Ergebnisse?
Ausgehend von meiner queer-feministischen Studie zu neuen Formen von Demokratie, die ich als präsentische Demokratie bezeichne und die 2020 bei Suhrkamp herausgekommen ist, in diesem Jahr auch auf Englisch und Spanisch erscheint, arbeite ich gerade daran, die gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationen zu verstehen, die sehr beschleunigt im Zuge der Pandemie stattfinden. Das interessiert jetzt schon – verständlicherweise – sehr viele Leute.

Sie haben unter anderem folgende Bücher geschrieben: „Immer Ärger mit dem Subjekt“, „Figuren des Immunen“, „Die Regierung der Prekären“, „Demokratie im Präsens“. Inwieweit spiegelt sich dort Ihre Forschungsarbeit wider?
„Immer Ärger mit dem Subjekt“ war die erste Monografie zum Denken von Judith Butler im deutschsprachigen Raum. Das Buch befasst sich mit ihren ersten Schriften in den 1990er Jahren und den Debatten, die sie ausgelöst haben. „Figuren des Immunen“ ist vielleicht mein theoretisch systematischstes Buch und gerade wieder sehr angesagt, weil es sich mit Immunisierungsstrategien und Regierungstechniken befasst, angefangen in der Römischen Antike. „Die Regierung der Prekären“ bietet eine Theorie der Prekarisierung an, die sich mit den Zumutungen des Neoliberalismus befasst und die nicht-identitären Kämpfe dagegen in den 2010er Jahren. Alle meine Bücher beziehen sich auf soziale Bewegungen, um immer auch aufzuzeigen, wie Dinge anders gedacht und praktiziert werden können. „Demokratie im Präsens“ bietet eine queer-feministische politische Demokratietheorie an, die sich nicht auf Identitäten, sondern auf wechselseitige Abhängigkeiten und Sorgebeziehungen stützt und unter anderem von den globalen feministischen Streikbewegungen lernt, wie auch von den Besetzungs- und Demokratiebewegungen der 2010er Jahre.

Woher kommt Ihre Leidenschaft zur Kunst?
Ich bewege mich seit 30 Jahren in verschiedenen Weisen im internationalen Kunstfeld, wie ich mich auch international im akademischen Feld bewege. Es gibt da viele Überschneidungen, Referenzen und gemeinsames Denken. Das spiegelt sich auch in meiner langjährigen Arbeit bei der Publikationsplattform transversal (transversal.at) wider, die seit mehr als 20 Jahren in mehr als drei Sprachen mit dem internationalen Kunstfeld und transnationalen aktivistischen Praxen eng verwoben ist und an den Schnittstellen von Kunsttheorie, politischer Theorie und Aktivismus publiziert.

ZUR PERSON
Isabell Lorey ist seit 2018 Professorin für Queer Studies in Künsten und Wissenschaft an der Kunsthochschule für Medien Köln. Sie ist politische Theoretikerin und hat Politikwissenschaft, Philosophie sowie afrikanische und europäische Ethnologie studiert und 1996 mit dem breit rezipierten Buch „Immer Ärger mit dem Subjekt“ die erste Monographie zur US-amerikanischen politischen Philosophin Judith Butler, einer der wichtigsten Queer-Theoretiker*innen, an der Goethe Universität in Frankfurt am Main promoviert. Das Buch ist mit einem langen neuen Vorwort 2017 von transversal texts wieder aufgelegt worden und vom argentinischen Verlag La Cebra in spanischer Übersetzung veröffentlicht. 2009 hat sich Isabell Lorey an der Universität Wien mit einer Studie zu Gemeinschaftsbildung, Immunisierung und Herrschaftssicherung habilitiert, die als Figuren des Immunen 2011 bei Diaphanes erschienen ist. Am bekanntesten wurde Lorey mit ihrem mittlerweile in fünf Sprachen übersetzen Buch „Die Regierung der Prekären“. Darin befasst sich Lorey mit der quer durch die Gesellschaft sich ausbreitenden Prekarisierung, der sozialen Verunsicherung in neoliberalen Verhältnissen, den damit verbundenen Geschlechterverhältnissen zugleich aber auch den Möglichkeiten zur Veränderung. In ihrem aktuellen Buch „Demokratie im Präsens. Eine Theorie der politischen Gegenwart“, 2020 bei Suhrkamp erschienen, entwirft sie inmitten der Krisen und Bedrohungen der liberalen Demokratie eine queer-feministische Demokratietheorie, die nicht von einem Volk und nicht von Repräsentation ausgeht, sondern von Sorgebeziehungen und wechselseitiger Verbundenheit.