Hinter den Kulissen: Prof. Islam
Forschende aus Köln stellen sich vor
Kurzinterview mit Prof. Dr. Ranty Islam von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW)
Herr Dr. Islam, Sie sind Professor für digitalen Journalismus an der HMKW. Dort lehren und forschen Sie insbesondere mit einem Schwerpunkt auf den Konstruktiven Journalismus – was genau bedeutet das?
Die journalistische Berichterstattung der Massenmedien wird von einer wachsenden Zahl Menschen als zu negativ wahrgenommen. Studien haben dies als einen der wichtigsten Gründe dafür ausgemacht, dass Rezipienten – also wir alle – immer weniger Nachrichten lesen, hören oder schauen. Konstruktiver Journalismus (KJ) bezeichnet sowohl eine durch Journalist*innen begründete Bewegung als auch eine Reihe hier entwickelter Konzepte, die das Ziel haben, auf genau dieses Problem zu reagieren. Konstruktiv journalistisch zu berichten heißt, journalistisches Denken und Handeln an einigen wenigen aber wichtigen Stellen zu ändern oder zu ergänzen. “Traditionelle” News berichten über Probleme, schauen was die Gründe sind, und fragen wer verantwortlich ist. Ein solcher News-Beitrag beantwortet damit die klassischen “6 Ws” – Wer? Wie? Was? Wo? Wann? Warum? – wie angehende Journalist*innen schon in ihrer Ausbildung lernen. Das alles findet sich auch im KJ.
Zusätzlich stellt dieser aber eine weitere 7. W-Frage: “Wie geht es weiter?” Aus Sicht einer konstruktiv berichtenden Journalistin ist diese Frage kein Nice-to-have sondern absolut elementar. Sie hat eine Reihe von Implikationen für den gesamten journalistischen Arbeitsablauf. Egal, ob bei der Themenfindung, Recherche oder Produktion. Auf einmal rücken andere Aspekte eines Themas in den Fokus, neue Fragen tauchen auf oder es werden Akteure und Protagonist*innen wichtig, die man andernfalls gar nicht auf dem Schirm gehabt hätte. In Interviews werden bewusst mehr zukunftsorientierte Fragen gestellt. Am Ende sollen Beiträge stehen, die den Leser*innen und Zuschauer*innen nicht nur Probleme präsentieren, sondern auch Ideen und Menschen, die versuchen, diese Herausforderungen zu meistern.
Warum ist das Thema für Sie und die Gesellschaft wichtig?
Journalismus ist systemrelevant für unsere Gesellschaft. Er soll die Menschen über für sie Wichtiges informieren, unterschiedliche Stimmen in unserer Gesellschaft abbilden, gesellschaftliche Debatten begleiten oder anstoßen, Teilhabe schaffen – um nur einige Aspekte zu nennen. Wenn aber immer mehr Menschen abschalten, wird klar, dass all dies schwierig wird. Neue digitale Angebote, Apps, mobile Formate haben geholfen, mehr auf die User zuzugehen – die Menschen direkt in ihrem Alltag abzuholen. Das Problem der Nachrichten-Negativität haben diese aber eher verschärft: Krisen, Katastrophen und Kriminalität sorgen auf News-Webseiten oder den Sozialen Medien verlässlich für Klicks. Den meisten Journalist*innen ist mittlerweile klar, dass wir vor allem eine konzeptionelle Neuorientierung im Journalismus brauchen. Der Konstruktive Journalismus ist nicht der einzige aber ein wichtiger solcher Ansatz. An der Hochschule untersuchen wir zum einen, wie KJ-Ideen in redaktionellen Kontexten entwickelt und umgesetzt werden. Andererseits versuchen wir, diese Erkenntnisse in die Lehre einzubringen. Das passiert etwa in Grundlagen-Modulen, wo wir die Einführung in den Journalismus um die Diskussion von KJ ergänzen. Oder in Praxismodulen, wo Studierende KJ-Prinzipien in ihre Reportage-Projekte mit einbeziehen.
Was sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit eine konstruktive Berichterstattung gelingen kann?
Aus zahlreichen Gesprächen mit Journalist*innen und in Redaktionen wissen wir, dass KJ vor allem von den Kolleg*innen unterstützt wird, die besonders nahe an Menschen und Themen dran sind: Reporter*innen, freie Autor*innen, Fachredakteur*innen aber auch Social Media und Community Manager. Viele von ihnen wünschen sich, dass ihre Ressortleitungen, Newsroom-Manager und die Chefredaktion KJ mehr in den Fokus rücken. Umgekehrt sehen wir, dass Redaktionen, die KJ buchstäblich zur Chef-Sache gemacht haben, konstruktiv-journalistische Formate und Berichterstattung schneller und stringenter umsetzen.
Wie gelingt es Ihnen persönlich positiv und konstruktiv zu bleiben?
Das ist nicht immer einfach. Weil es Teil meiner Arbeit ist, beschäftige ich mich viel mit “News”. Den Impuls ihnen aus dem Weg zu gehen, verspüre ich aber definitiv auch bei mir selbst. Ich versuche da einen Mittelweg zu finden – News bewusst zu “konsumieren” aber mich ihnen nicht auszuliefern. News-Aggregatoren (Google News, Apple News etc.), Breaking News Alerts und Social Media Apps haben daher auf meinen Digitalgeräten nichts zu suchen. Anderseits habe ich gezielt einige Medien abonniert. Das hält den Kopf erstaunlich frei. Ich gebe zu, es hilft auch, dass ich grundsätzlich ein Optimist bin.
ZUR PERSON
Prof. Islam ist Digitalanthropologe und Journalist und versucht beides in der Hochschullehre zusammenzubringen. Zuvor hat er das mehrfach preisgekrönte multimediale Umweltreportage-Projekt „Global Ideas“ bei der Deutschen Welle mit aufgebaut und seit Anbeginn als Redakteur begleitet. Gegenwärtig beschäftigt er sich besonders mit dem Thema Konstruktiver Journalismus und der Rolle von Empathie in neuen journalistischen Konzepten und Medienformaten. Darüberhinaus untersucht er die anthropologischen Grundlagen von Storytelling und die kulturellen Auswirkungen von Big Data.
An der HMKW lehrt Ranty Islam hauptsächlich im internationalen Master Digitaler Journalismus. Außerdem leitet er das MediaLab der HMKW, einen von Studierenden betriebenen Newsroom und experimentellen Raum für crossmedialen und digitalen Journalismus.