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© Klomann/ Koddenberg

Hinter den Kulissen: Prof.*innen Klomann & Schmidt-Koddenberg

Forschende aus Köln stellen sich vor

Interview mit Prof. Dr. Verena Klomann und Prof. Dr. Angelika Schmidt-Koddenberg von der Katholischen Hochschule NRW (katho)

Sie arbeiten gemeinsam am Institut für angewandte Bildungs- und Diversitätsforschung der Katholischen Hochschule NRW – Was macht das Institut aus und wer profitiert von den Forschungsergebnissen?
++ Schmidt-Koddenberg: Unsere Forschungsarbeiten zum Thema begannen vor 20 Jahren: Kolleg*innen unterschiedlicher Disziplinen (Soziale Arbeit, Psychologie, Soziologie, Politologie) an unseren Standorten Münster, Köln und Aachen waren motiviert und von der Sinnhaftigkeit überzeugt, die Genderforschung stärker in unseren Studiengängen der Sozialen Arbeit zu verorten. Sehr schnell erkannten wir die gleichzeitige Wichtigkeit der Themen im Kontext von Migration und nannten unseren Forschungsschwerpunkt zunächst Gender und Transkulturalität. Mit unseren anwendungsorientierten Projekten versuchten wir, Antworten auf bestehende Praxisanforderungen zu geben, z.B. durch Entwicklung und Erprobung neuer Handlungskonzepte, anderer Arbeitsstrukturen, die Akquise neuer Zielgruppen u.a.m. Im Laufe der Jahre veränderte sich der Fachdiskurs immer stärker in Richtung Diversity – als ein Oberbegriff für die zunehmende soziale und kulturelle Heterogenität unserer Gesellschaft, der die Aspekte Gender und Ethnizität impliziert. Zugleich realisierten wir, dass in vielen unserer Projekte ganz unterschiedliche formale und informelle Bildungsaspekte eine Rolle spielten und so änderten wir den Namen unseres Forschungsschwerpunkts und formierten uns als Institut für angewandte Bildungs- und Diversitätsforschung.

Die „Profiteur*innen“ unserer Projekte sind insbesondere verschiedene öffentliche Einrichtungen auf kommunaler Ebene wie auch freie Trägerorganisationen. Daneben profitieren vor allem forschungsbeteiligte Master-Studierende, indem sie Einblicke in Herausforderungen ihrer künftigen Handlungsfelder erhalten.

++ Klomann: Ein ganz besondere Potenzial unseres Institutes liegt darin, dass wir Diversity nicht “nur” als zentrales Forschungs- und Entwicklunsgthema definieren und in unserem Namen tragen, sondern Vielfalt auch im Institut wertschätzen und leben: Die aktuell 24 Institutsmitglieder kommen aus den vier Fachbereichen des Sozialwesens an der katho, vertreten verschiedene Disziplinen und Perspektiven, umfassen sowohl Professor*innen und wissenschafliche Mitarbeitende aber auch Referent*innen mit verschiedenen Tätigkeitsbereichen, bringen verschiedene grundständige Qualifikationen mit, stehen an unterschiedlichen Stellen in der beruflichen Entwicklung usw. Diese Vielfalt erleben wir als große Bereicherung und nutzen das hiermit einhergehende vielfältige Potenzial.

Ein weiteres wichtiges Anliegen ist es, durch unsere mannigfaltigen Forschungs-, Transfer- und Entwicklungsprojekte den wissenschaftlichen Diskurs zur Bildungs- und Diversitätsforschung zu bereichern und Beiträge zur nachhaltigen Gestaltung der demokratischen Gesellschaft zu leisten.

Die Soziale Arbeit – für die wir ja in unseren Studiengängen ausbilden – trägt auf ganz unterschiedliche Weise und in vielen verschiedenen Feldern zur Förderung von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen, zu sozialen Entwicklungen und sozialem Zusammenhalt – aber auch zur Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen bei. Sie schätzt und achtet die Vielfalt der Menschen, ihre individuellen Lebensentwürfe und -perspektiven, orientiert sich an den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit und den Menschenrechten. Obgleich die Soziale Arbeit damit gesellschaftlich bedeutungsvolle Aufgaben übernimmt, sind sie und die in ihrer Disziplin und Profession generierten Erkenntnisse häufig in politischen und gesellschaftlichen Diskursen nicht vertreten – so wurde es ganz aktuell beispielsweise auch in den zur Bewältigung der Corona-Pandemie eingerichteten Beratungsgremien der Politik oder auch Krisenstäben sowie der als systemrelevant eingeorndeten Tätigkeistbereiche deutlich. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht kontinuierlicher gesellschaftlicher Wandlungsprozesse ist die Weiterentwicklung der Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit zentrales Anliegen unseres Instituts. Hierzu gehört insbesondere auch die aktive Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Sozialen Arbeit.

Wie kann man sich Ihre wissenschaftliche Zusammenarbeit vorstellen und inwiefern unterscheiden sich Ihre Aufgaben?
++ Schmidt-Koddenberg: In jedem Projekt sind in der Regel Kolleg*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen und/oder von unterschiedlichen Standorten unserer Hochschule beteiligt. Dies gewährleistet die wissenschaftliche Multiperspektivität (z.B. aus sozialarbeits-, sozialwissenschaftlicher oder auch kulturwissenschaftlicher Sicht) wie zugleich die Berücksichtigung der differenzierten sozialen Verhältnisse an verschiedenen Orten (z.B. in großstädtischen oder ländlichen Räumen).

++ Klomann: Multiperspektivische und interdisziplinäre Zusammenarbeit verstehen wir als wesentliches Qualitätsmerkmal Sozialer Arbeit und auch unserer forschenden Beschäftigung: Die Phänomene, mit denen wir uns befassen, sind komplex – die Beschäftigung hiermit erfordert mannigfaltige Perspektiven und Zugangsweisen. Beispielhaft läßt sich dies an einem unserer aktuellen Projekte First Generation Studierende begleiten – Teilhabe durch Kompetenzstärkung (FIGEST), das wir im Rahmen der „Innovativen Hochschule“ von 2019-2022 durchführen, aufzeigen:

Hier begleiten wir junge Menschen durch diversitätssensible Ansätze in ihrem Bildungsprozess vom schulischen Übergang in die Hochschule, im Studienverlauf bis hin zum Übergang in professionelles Agieren unterstützend. Das Projekt FIGEST realisieren wir derzeit am Fachbereich Sozialwesen an der Abteilung Aachen und dem Fachbereich Sozialwesen an der Abteilung Köln. Dabei kommen in unserer gemeinsamen Projektleitung verschiedene Disziplinen zusammen. Aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten arbeiten wir einerseits fachbereichsbezogen, doch führen wir zugleich zahlreiche fachbereichsübergreifende Untersuchungen durch, auf deren Basis wir gemeinsame Angebote sowie Dialogprozesse entwickeln und realisieren. Die Gleichzeitigkeit der sozialpädagogisch-erziehungswissenschaftlichen und soziologischen Perspektiven ist für das Projekt wie auch uns persönlich gleichermaßen Inspiration wie Bereicherung.

In welchem Bereich der Bildungs- und Diversitätsforschung sehen Sie den höchsten Handlungsbedarf und warum?
++ Schmidt-Koddenberg: Das übergeordnete Thema unserer Forschungsarbeiten sind die existierenden sozialen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft. Und hierbei spielen Genderfragen leider nach wie vor eine zentrale Frage, gleichermaßen in beruflichen (z.B. Aufgabenbereiche, Leitungspositionen) wie familiären Kontexten (z.B. ungleiche Belastungen; sexuelle Gewalt). Daneben sind es die Aspekte der ethnischen und sozialen Herkunft, die maßgeblich für ungleiche Lebenschancen und -risiken mitverantwortlich sind. Große Handlungsbedarfe existieren z.B. rund um das Thema „alleinerziehende Mütter“, da diese Zielgruppe am stärksten armutsgefährdet ist, ebenso wie in vielen Handlungsfeldern mit migrantischen Populationen, da hier neben den materiellen Benachteiligungen die diskriminierenden Einstellungen und Sichtweisen große Herausforderungen an unser gesellschaftliches Miteinander darstellen.

++ Klomann: Es ist schwierig, zu sagen, welches die ‘wichtigsten Themen’ sind: Es geht ja nicht darum, die verschiedenen Diversitätskategorien zu hierarchisieren oder gegeneinander aufzuwiegen – vielmehr gilt es, deren Verwobenheit zu würdigen und sie intersektional zu verstehen. Etwaige Forschungs- und Handlungsbedarfe existieren dementsprechend gleichberechtigt nebeneinander. Die Forschungs-, Entwicklungs- und Transferanliegen unseres Institutes sind dabei hächst aktuell und gesellschaftlich brisant: So seien hier exemplarisch

  • die durch die Corona-Pandemie begünstigte Entstehung neuer und die Verschärfung bestehender Formen und Auswirkungen sowohl der Bildungsbenachteiligung als auch der Armutsproblematik,
  • die verstärkt deutlich werdende Notwendigkeit, Phänomene institutionell-verankerten Rassismusʼ sowie strukturelle Benachteiligungen – auch in Sozial- und Bildungseinrichtungen – unter Berücksichtigung machtkritischer und postkolonialer Perspektiven in den Blick zu nehmen
  • oder auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, wie bspw. zunehmende Spaltungsprozesse, die insbesondere durch rechtspopulistische Bewegungen genutzt und vorangebracht werden, und hiermit einhergehende menschenverachtende Äußerungen, Diskriminierung und Bedrohungen genannt.

In den Forschungs-, Entwicklungs- und Transferaktivitäten des Institutes greifen wir diese beispielhaft genannten – und viele weitere Phänomene und Themen auf – und beleuchten diese unter Bezugnahme auf Professions-, Bildungs-, Teilhabe-, Gender- und Migrationsdiskurse und unter Berücksichtigung rassismuskritischer und diversitätsbewusster Perspektiven. Ein zentrales Anliegen ist es dabei, immer auch Impulse dafür zu gewinnen, wie die Soziale Arbeit – aber auch weitere Akteur*innen bspw. im Kontext Schule, im Gesundheitswesen usw. – diese Themen aufgreifen und bspw. durch konkrete Angebote einen Beitrag zur Bewältigung hieraus entstehender Herausforderungen und Probleme leisten (kann).

Was machen Sie privat am liebsten, wenn Sie nicht gerade forschen?
++ Schmidt-Koddenberg: Musik hören, lesen, wandern und radeln, fotografieren, Bogenschiessen, kochen und mich mit lieben Menschen treffen.

++ Klomann: Die Natur genießen, neues Entdecken und neue Erfahrungen sammeln, mich bewegen und aktiv sein.

ZU DEN PERSONEN
++ Verena Klomann ist Diplom-Sozialpädagogin, Sozialmanagerin (M.A.) und promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Ehrenamtlich engagierte sie sich viele Jahre in der (offenen) Kinder- und Jugendbildungsarbeit sowie in der Qualifizierung und Begleitung von Gruppenleiter*innen. Beruflich war sie zunächst in Angeboten der ambulanten und stationären Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit sogenannter Behinderung, einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete und später im Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes sowohl auf Bezirks- als auch auf Leitungsebene tätig. Im Oktober 2008 begann sie ihre Tätigkeit an der Hochschule. Seit 1. April 2014 ist sie Professorin für Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen und seit 2020 Gleichstellungsbeauftragte der katho. In Forschung, Lehre und Transfer beschäftigt sie sich vor allem mit der Profession, Professionalisierung und Professionalität (in) der Sozialen Arbeit; Theorien, Theorieentwicklung und Theorierelevanz in der Sozialen Arbeit; der Gestaltung von Übergängen bspw. von der Schule/der Ausbildung an die Hochschule, aber auch von der Hochschule in Praxis und/oder Wissenschaft und hiermit verbundenen Fragen der Bildungs- und Zugangs- und Chancengerechtigkeit sowie Fragen von Diversität und Vielfalt. Seit 2014 ist sie im Forschungsschwerpunkt Bildung und Diversity aktiv und übernahm Anfang 2020 die Funktion der Forschungsschwerpunktsprecherin. Seit Gründung des Instituts für angewandte Bildungs- und Diversitätsforschung ist sie dessen Leiterin.

++ Angelika Schmidt-Koddenberg ist in Köln aufgewachsen und studierte an der Universität zu Köln Soziologie und VWL und promovierte hier 1987 am Institut für Wirtschafts- u. Sozialpsychologie über Akkulturation von Migrantinnen. Sie war ab 1981 in verschiedenen hochschulischen und außerhochschulischen Instituten wissenschaftlich tätig und ab 1994 im Kontext der Dt. Wiedervereinigung in der politischen (Frauen-)Bildung. Seit 1997 ist sie Professorin für Soziologie an der Kath. Hochschule NRW, zunächst in Aachen, ab 2004 in Köln. Von 2000 – 2006 hatte sie das Amt der Prorektorin inne und in dieser Funktion war sie u.a. für den Aufbau der hochschulischen Forschungsstrukturen und Gleichstellungsstrukturen mitverantwortlich sowie Mitbegründerin der Kölner Wissenschaftsrunde (KWR). Als aktiv Forschende oblag ihr bis 2019 die Leitung des Forschungsschwerpunkts Bildung & Diversity (zuvor Gender & Transkulturalität). Für ihr vielfältiges frauenpolitisches Engagement erhielt sie 2009 das Bundesverdienstkreuz. Sie ist verheiratet und zweifache Mutter.