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© Horz
Hinter den Kulissen: Prof. Horz
Forschende aus Köln stellen sich vor
Kurzinterview mit Prof. Dr. Christine Horz von der TH Köln
Sie waren an einer Untersuchung zur Diversität in der Medienlandschaft beteiligt. Welches Fazit ziehen sie aus den Ergebnissen der Studie?
Wir haben in unserer Studie 126 Chefredakteur*innen befragt, wie kulturell vielfältig ihre Redaktionen besetzt sind und wie sie zu mehr Diversität im Mediensektor stehen. Wir konnten zeigen, dass sich die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft nicht in der Belegschaft dieser Medienhäuser widerspiegelt, und dass es kaum Konzepte gibt, dies zu ändern. Das ist ein dramatischer Befund, weil Nachrichten oder andere informierende Inhalte natürlich kein Produkt sind wie jedes andere. Vielmehr stellen sie einen bedeutenden Teil der öffentlichen Kommunikation her und sollen zur demokratischen Meinungs- und Willensbildung beitragen. Wenn wir aber ein Viertel der Bevölkerung und ihre Perspektiven aus Nachrichten und Informationen heraushalten, kann das kaum gelingen – ganz zu schweigen davon, dass sie nicht gleichbehandelt werden. Diese mangelnden Perspektiven in den Medien können zu einer Verzerrung der Meinungsbildung führen, weil auch der Meinungspluralismus eingeschränkt ist. Wir haben das exemplarisch am Anteil von Chefredakteur*innen mit Migrationshintergrund untersucht. Selbstverständlich muss Diversität weiter gefasst und erforscht werden. Nur etwa 6% der Chefredakteur*innen hat einen Migrationshintergrund, meist jedoch in Verbindung mit angrenzenden europäischen Nachbarländern. Menschen, die Diskriminierungserfahrungen haben, sind nicht dabei. Meist sind sich diese Medienverantwortlichen der Bedeutung vielfältiger Perspektiven bewusst, tun aber viel zu wenig dafür, etwa anhand von nachhaltigen Diversitätskonzepten. In einer Folgepublikation, einem Diversity Guide, möchten wir nun wissensbasierte Hilfestellung geben, wie Diversität konkret in den Medienunternehmen umgesetzt werden kann.
Mein persönliches Fazit ist, dass es in Deutschland an einer innovativen Denkfabrik mangelt, in der Phänomene der Transkulturalität in den Medien in ihrer Tiefe und Breite erforscht werden können. Ich möchte diese gerne an meinem Lehrstuhl ansiedeln, und befinde mich derzeit auf der Suche nach Kooperationspartnern.
Inwieweit beeinflussen die Ergebnisse der Untersuchung Ihre Arbeitsweise – mit Studierenden, Kolleg*innen, Medienpartner*innen?
Mir ist es wichtig, dass die Studierenden einen kritischen aber wissensbasierten Blick auf die Medienlandschaft nehmen. Das Wissen über Funktionen und Praxen der Medien ist in Deutschland aufgrund des Mangels an institutionalisierter Medienbildung generell gering ausgeprägt. Deshalb werden meine Studierenden im kommenden Wintersemester eigene Teilaspekte für den Diversity Guide für Medienunternehmen erforschen. Auf diese Weise können sie vertiefendere Einblicke in die kulturelle Homogenität unserer Medienlandschaft nehmen, als in irgendeiner Vorlesung – weil sie selbst Teil einer realen Forschungssituationen sind.
Mit Kolleg*innen diskutierte ich gerne über die Befunde, vielen ist das Ausmaß der Defizite nicht so klar. Medienpartner*innen versuche ich immer wieder auf den Mehrwert von Diversity für ihr Unternehmen hinzuweisen – denn sie sehen Diversität als zusätzlichen Kostenfaktor. Wie auch Erfahrungen aus anderen EU-Ländern zeigen, bringt Diversität aber auch Gewinn. Mehr kulturelle Diversität generiert neue Publika – was gerade angesichts des Generationenabrisses bei der Nutzung etablierter Qualitätsmedien ein entscheidender Faktor für das Weiterbestehen von Presse und Rundfunk, wie wir sie kennen, sein wird.
Warum sind internationale und interkulturelle Kompetenzen für die Kommunikation in unserer Gesellschaft wichtig?
Zunächst bevorzuge ich den Begriff transkulturelle Kompetenzen, weil wir mittlerweile wissen, dass es keine strikt voneinander abgegrenzten Kulturen gibt. Internationale und transkulturelle Kommunikationskompetenzen sind deshalb von zentraler Bedeutung, weil wir in einer Einwanderungsgesellschaft leben. Das bedeutet auch, dass darin gesellschaftliche Gruppen nicht abgekapselt von einer Mehrheitsgesellschaft verstanden werden können, sondern dass unsere Gesellschaft in vielen Dimensionen divers ist. Das Konzept der postmigrantischen Gesellschaft versucht diese multiple sozial-kulturelle Verquickung von (vormalig) zugewanderten und lange ansässigen Menschen zu fassen.
Die Öffentlichkeit ist im kommunikationswissenschaftlichen Sinne der Ort, an dem sich die Gesellschaft über sich selbst verständigt. Sie wird maßgeblich von Medien mitgestaltet. Insofern ist transkulturelle Kompetenz nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, den so genannten Encounter-Öffentlichkeiten, sondern auch in gesellschaftsdurchdringenden Medienöffentlichkeiten wichtig, damit die dynamische Gesellschaft weiterhin im demokratischen Diskurs bleibt. Unsere Forschungsergebnisse werfen zum Beispiel die Frage auf, wie eine öffentliche Debatte um Migration aussehen würde, wenn sie durch vielfältigere Perspektiven in den Medien geprägt wäre.
Was machen Sie privat am liebsten, wenn Sie nicht an die Arbeit denken?
Ich reise gerne – wenn es denn mal wieder möglich ist – verbringe Zeit mit meiner Familie und Freunden und mache Yoga.
ZUR PERSON
Prof. Dr. Christine Horz promovierte 2011 im Fach „Medien- und Kommunikationswissenschaft“ an der Universität Erfurt. Anschließend war sie als Referentin in einem internationalen EU-Projekt, freiberuflich an der FU Berlin und mit der Gründung der Initiative zur Etablierung von Publikumsräten für öffentlich-rechtliche Medien beschäftigt. 2015 wurde sie dann in den „Rat für Migration“ (RfM) berufen. Es folgten Stationen als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin des Campusfernsehens an der Ruhr-Universität Bochum und als Vertretungsprofessorin im Lehrstuhl Kommunikationswissenschaft an der Universität Greifswald (Ernst-Moritz-Arndt bitte löschen! Der Name wurde aufgrund der Nazi-Vergangenheit des Namensträgers geändert). Seit 2018 ist sie Vice President von RIPE (Re-Visionary Interpretations of the Public Enterprise), dem internationalen ForscherInnen-Netzwerk zur Analyse öffentlich-rechtlicher Medien sowie Sprecherin der Fachgruppe Internationale und Interkulturelle Kommunikation der DGPuK.
2020 wurde sie als Professorin für „Transkulturelle Medienkommunikation“ an die TH Köln berufen. Ihre Forschungsthemen sind Diversität im Journalismus, öffentlich-rechtliche Medien sowie Flucht und Migration