Prof. Dr. Amelie Duckwitz
Technische Hochschule Köln Prof. Dr. Amelie Duckwitz
Hinter den Kulissen: Prof. Duckwitz
Forschende aus Köln stellen sich vor
Kurzinterview mit Prof. Dr. Amelie Duckwitz von der TH Köln
Frau Prof. Duckwitz Sie forschen an der TH Köln unter anderem im Bereich Influencer Marketing. Welche Ziele und Forschungsfragen verfolgen Sie dabei?
Mich fasziniert das Thema Influencer-Kommunikation als Social-Media-Phänomen, das sich nicht nur unglaublich schnell professionalisiert und kommerzialisiert hat, sondern auch für viele Nutzer:innen zum medialen Alltag geworden ist. Dabei beschäftigt sich die Medienforschung schon seit rund 80 Jahren mit den sogenannten Meinungsführern, also Menschen, die andere Menschen in ihren Einstellungen und Verhalten beeinflussen können. Mich interessiert nun ganz aktuell, welchen Einfluss Influencer*innen, verstanden als “digitale Meinungsführer”, auf öffentliche Meinungsbildungsprozesse nehmen können. Spätestens seit Rezo 2019 im Vorfeld der Europawahlen sein YouTube-Video „Die Zerstörung der CDU” veröffentlicht hat, ist bekannt, dass Influencer*innen nicht nur Mode und Beauty bewerben, sondern auch über politische Themen sprechen. Influencer*innen beteiligen sich zunehmend aus eigenem Antrieb an gesellschaftlichen/politischen Bewegungen wie Klimaschutz oder LGBTQ, oder sie werden als Instrument der politischen Kommunikation beauftragt. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe von spannenden Forschungsfragen: Welche Folgen sind zu beobachten, wenn Influencer*innen bisweilen Millionen Follower mit politischen Botschaften erreichen? Welche Verantwortung ist damit verbunden? Welche Risiken, aber auch Chancen ergeben sich dadurch für die politische Partizipation? Wie kann der professionelle (Qualitäts-)journalismus mit diesen neuen Akteuren umgehen?
Weiter interessiert mich, wie das Potential von Influencer*innen genutzt werden kann, Menschen zu erreichen, an denen “klassische” Kommunikationskampagnen scheitern, vorwiegend im Bereich der Public Health. Die sogenannten “Impfluencer” sind dafür ein aktuelles Beispiel.
Inwieweit nehmen Influencer*innen Einfluss auf unser Konsumverhalten und Meinungsbild? Welche Chancen und Gefahren sehen Sie für unsere Gesellschaft?
Das Phänomen, dass sich Menschen von anderen Menschen beeinflussen lassen, vor allem dann, wenn sie unsicher sind oder das Umfeld recht komplex ist, scheint universell zu sein. Im Marketing, aber auch in der politischen Kommunikation setzt man deshalb schon lange auf Influencer*innen, und man hat viel Aufwand betrieben, diese in sozialen Systemen zu identifizieren. Heute schaut man auf Social-Media-Plattformen auf die Followerzahlen, beauftragt die Influencer*innen, und kann sogar, zum Beispiel mit dem Einsatz von Rabattcodes, den direkten Verkaufserfolg messen. Das funktioniert aktuell sehr gut. Interessant wird es, wenn man fragt, warum das so gut funktioniert. Influencer*innen werden von ihrer Follower*innen eine hohe Glaubwürdigkeit zugeschrieben, sie haben ein hohes Identifikationspotential, und Follower*innen bauen eine para-soziale Beziehung zu ihnen auf. Durch die gemeinsame Followerschaft entsteht soziale Zugehörigkeit, eine Art soziale Verortung in der Gesellschaft, aber auch eine Abgrenzung, wenn man gemeinsam jemanden ablehnt oder sogar “hatet”.
Neu ist die Dynamik, die durch Netzwerkeffekte entsteht, die Geschwindigkeit, mit der sich Trends oder soziale Bewegungen auch global ausbreiten können. Dadurch entstehen zunächst mal Chancen, auf Themen wie #blacklivesmatter oder #metoo aufmerksam zu machen, oder überhaupt das interesse an gesellschaftlichen Themen zu wecken.
Wichtig ist zu sehen: Influencer*innen sind sehr divers, es gibt kein Thema, keine soziale Nische, die nicht besetzt wäre. Auf der anderen Seite heißt das auch, dass risikobehaftete Themen ihre Followerschaft finden, wie zum Beispiel Essstörungen, ohne die Gegenbewegung der #bodypositivity unerwähnt zu lassen. Risiken sind auch zu beobachten, wenn politische Akteure Social-Media-Mechanismen gezielt nutzen, um Menschen zu radikalisieren sowie Desinformationen zu verbreiten. Manchmal auch ganz subtil, wenn blonde, bezopfte Mädchen darüber sprechen, wie schön ihr deutsches Heimatland ist und ob es dem weiblichen Wesen entspricht, einer Arbeit nachzugehen. Natürlich muss man auch kritisch hinterfragen, welche Rollenbilder vermittelt werden, wenn die erfolgreichsten Influencer*innen den ganzen Tag ihren Konsum in Szene setzen. Sich aber nur darauf zu konzentrieren, greift zu kurz.
Auch Kinder und Jugendliche betätigen sich bereits als Mini-Influencer*innen. Was ist so spannend und brisant an diesem Phänomen?
Spannend ist natürlich erstmal das kreative Potential, das Kinder und Jugendliche mithilfe der digitalen Möglichkeiten, die sich heute bieten, ausnutzen können. Digitale Medien können bei der Identitätsfindung unterstützen, die Vernetzung mit Menschen mit ähnlichen Interessen fördern, Vielfältigkeit ausdrücken und Antworten auf Fragen liefern, die Jugendliche bewegen. Kritisch sehe ich jedoch das Phänomen der sogenannten “Mini-Influencer”, also Kinder und Jugendliche, die auf YouTube oder Instagram ein quasi öffentliches Leben führen. Vor der Kamera wird gespielt, gemalt, sich geschminkt, geshoppt und gestylt. Der Alltag der Kinder wird gefilmt, bis hin zur “Morgenroutine” vor Kindergarten und Schule. Die YouTube- und Instagram-Kanäle von Mini-Influencern wie „Alles Ava“ oder „Mavie Noelle“ haben bis zu einer Million Abonnenten, und sie bestreiten das Familieneinkommen.
Dabei handelt es sich um eine große rechtliche Grauzone. Offiziell sind diese Kanäle “elternbetrieben”, und diese müssen eigentlich ihrer Fürsorgepflicht nachkommen. Stattdessen verletzen sie systematisch und nachhaltig die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder. Kinder können noch nicht abschätzen, dass ihnen die Videos und Posts, die sie von sich veröffentlichen, in einigen Jahren vielleicht nicht mehr gefallen, ebenso nicht die Folgen des öffentlichen Interesses bis hin zu Stalking, Mobbing und Grooming. Auch der soziale und finanzielle Druck ist enorm, es handelt sich in vielen Fällen eindeutig um Kinderarbeit, die mit der Begründung, dass es ja “auch Spaß macht”, verschleiert und bagatellisiert wird.
Kinder schauen am liebsten anderen Kindern zu – man sollte mit ihnen sprechen, was das für die Kinder vor der Kamera bedeutet und ob das erstrebenswert ist.
Was würden Sie Followern im Umgang mit ihren Influencer-Idolen raten und inwieweit nutzen Sie Ihr Wissen privat?
Follower:innen, auch Jugendliche, sind reflektierter im Umgang mit Influencer*innen als man gemeinhin glaubt. Meine Untersuchungen haben u.a. gezeigt, dass Nutzer:innen ihren Influencer*innen die professionelle Rolle zugestehen, mit ihrem Instagram-Account Geld zu verdienen und deshalb Inhalte zu inszenieren und regelmäßig Werbung zu platzieren, wenn sie es gleichzeitig schaffen, authentisch im Sinne einer inhaltlichen und zeitlichen Konsistenz zu bleiben. Influencer*innen werden in persönlichen Gesprächen diskutiert und werden Teil des Aushandlungsprozesses sozialer Normen. Man darf auch nicht vergessen, dass Mediennutzung oftmals auch einfach der Unterhaltung und Entspannung dient.
Eltern rate ich, Interesse an den Influencer*innen ihrer Kinder zu zeigen und Inhalte zu hinterfragen, ohne bevormundend zu sein.
Privat ist es nicht einfach, zwischen beruflichem und privatem Interesse zu unterscheiden. Ich versuche, mittendrin statt nur dabei zu sein, ich folge auf unterschiedlichen Accounts verschiedenen Influencer*innen auf Instagram, Twitter und YouTube und konsumiere regelmäßig TikTok. Zumindest kann ich immer, wenn ich das Smartphone in der Hand habe, zu meiner Familie sagen: “Ich arbeite, auch wenn es nicht so aussieht.”
ZUR PERSON
Prof. Dr. Amelie Duckwitz arbeitet im Bereich Medien- und Webwissenschaft an der TH Köln. Ihre Lehr-und Forschungsgebiete sind: Social Media, Web Marketing, Influencer-Kommunikation, User Experience. Davor war sie als Creative Director in verschiedenen Agenturen für die Konzeption globaler Online- und Social-Media-Kommunikation verantwortlich. Sie ist Mitglied im Forschungsschwerpunkt Digitale Technologien und Soziale Dienste (DITES) und forscht aktuell zu Influencern in der politischen Kommunikation.