Marc Tittgemeyer

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Hinter den Kulissen: Dr. Tittgemeyer

Forschende aus Köln stellen sich vor

Interview mit Dr. Marc Tittgemeyer vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung (MPIfS)

Sie forschen in der wissenschaftlichen Gruppe „Translational Neurocircuitry“. Was kann man sich unter diesem Forschungsbereich vorstellen?
Kennzeichen eines ausgeglichenen Energiehaushalts unseres Körpers ist das Gleichgewicht (die sog. Homöostase) von Kalorienaufnahme und Energieverbrauch, welches typischerweise durch Selbstregulation erreicht wird. In allen Organismen muss dieses Gleichgewicht in einem engen Rahmen aufrechterhalten werden, um einen ausgeglichenen Stoffwechsel, Gesundheit und Überleben zu gewährleisten. Durch Evolution hat sich ein ausgeklügeltes neuronales Netzwerk entwickelt, welches Informationen aus der Körperperipherie eines Organismus über die zur Verfügung stehende Energie sammelt und auswertet. Dieses Netzwerk ermöglicht es dem Körper, eine große Bandbreite von Verhalten und vegetativen Antworten anzuwenden, um präzise Nahrungsaufnahme, Energieverbrauch und Substanzaustausch zwischen verschiedenen Organen zu kontrollieren.

In diesem Kontext untersucht meine Arbeitsgruppe, wie das menschliche Gehirn Signale aus der Körperperipherie wahrnimmt und unter Berücksichtigung von sensorischen Reizen aus unserer Umwelt verarbeitet, integriert und priorisiert. Ziel ist es zu verstehen, wie aus den verschiedenen sensorischen Signalen (aus denen der Umwelt, wie auch des Körpers) adäquate Verhaltens- und physiologische Reaktionen erfolgen um die beschriebene Homöostase sicherzustellen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei darauf ein grundlegendes Verständnis der notwenigen Schalt- und Regulationskreisläufe in unserem Gehirn zu erlangen.

Unsere Forschungsstrategie erfordert einen hochgradig interdisziplinären Ansatz, der theoretische und experimentelle Arbeiten kombiniert, zusammen mit einer Infrastruktur, die prospektive Validierungsstudien am Menschen unterstützt. Unser Ziel, das Zusammenspiel von Körper und Gehirn und dessen Relevanz für menschliches Verhalten zu untersuchen, wird durch den Einsatz neuester technologischer Fortschritte in den humanen Neurowissenschaften erreicht.

Unsere Gruppe ergänzt damit nicht nur die am Institut betriebene Grundlagenforschung zu Stoffwechselprozessen, sondern erweitert sie um Studien zur menschlichen Physiologie und mit Blick auf klinischen Erkrankungen insbesondere neuropsychiatrische Erkrankungsbilder betreffend.

Woran forschen Sie aktuell?
Der Hauptforschungsschwerpunkt unserer Gruppe betrifft zurzeit die physiologischen Pfade, über die interne Körpersignale an das Gehirn kommuniziert werden, um mit der Belohnungsverarbeitung und unserem Motivationsantrieb zu interagieren. In diesem Zusammenhang untersuchen wir die Identität der neuronalen Systeme bei der Regulation der Nahrungsaufnahme und die pathophysiologischen Folgen des Überessens bei Adipositas und den damit verbundenen Erkrankungen.

Einfach heruntergebogen, unser gesamtes Essverhalten wird vom Gehirn kontrolliert. In bestimmten Gebieten der Hirnbasis (Hypothalamus) sitzen Neurone, die messen, ob wir hungrig sind, ob unser Energiegehalt aus der Balance ist oder nicht. Und diese Neurone signalisieren uns, ob wir essen sollen oder nicht. Würde sich unser Organismus nur auf dieses System verlassen, dann würden wir immer nur so viel essen wie wir brauchen. Im Lauf der Evolution war es aber wichtig, auch Energiereserven aufzubauen. Und um mehr zu essen als man gerade an Kalorien benötigt, bedarf es einer Belohnung. Und hier kommen Neuromodulatoren wie z.B. Dopamin ins Spiel.

In einer unserer jüngsten Studien haben wir Probanden im Rahmen von bildgebenden Verfahren (Tomographie) Milchshakes verabreicht. Es zeigte sich: Dopamin wird im Wesentlichen zu zwei Zeitpunkten ausgeschüttet. Zunächst im Moment des Geschmackserlebnisses. Hierbei wird die Dopaminausschüttung durch die Sensorik im Mund-Hals-Rachen-Bereich ausgelöst. Die Signale werden vor allem an Hirnregionen weitergeleitet, die für die Sensorik zuständig sind. Sie melden unter anderem zurück, wenn etwas schmackhaft und nicht giftig ist, damit man es herunterschluckt. Kommt der Shake dann im Magen und Dünndarm an, sorgt das nach ca. 12 bis 15 Minuten für eine weitere verstärkte Dopaminausschüttung. Im Spiel sind dabei Regionen, die mit motivationalem Verhalten und der Etablierung von Gewohnheiten einhergehen.

Wir wissen aus Tierexperimenten, dass Neurone im Hypothalamus abhängig davon, wie kalorienreich eine Nahrung ist unterschiedlich antworten. Sie messen also den Kaloriengehalt. Sofern man schon Erfahrung mit einem Nahrungsmittel hat, reicht sogar der pure Anblick des Essens, damit die Neurone den Kaloriengehalt messen können. Doch durch stark verarbeitetes Essen können diese Neurone in die Irre geführt werden. Fertiggerichte etwa haben meist sehr viel mehr Kalorien als man damit auf Grund seiner Erfahrung verbindet. Da die Neurone die Kalorien unterschätzen, wird man am Anfang viel davon essen. Aber mit der Zeit lernen die Neurone im Rahmen eines gesunden Metabolismus dazu, und man wird kleinere Mengen essen. Leider kann aber der Belohnungsimpuls auch dazu führen, dass wir von Nahrung mit einer hohen Wertigkeit (d.h. der ‘Wert’, den das Essen im Zuge einer hohen Belohnung bekommt) immer mehr essen wollen. Durch den steigenden Fettgehalt im Körper wird der Körper immer weniger empfänglich für Insulin und verliert die Fähigkeit, den Kaloriengehalt zu messen. Und man isst immer mehr; quasi dem Diktat unseres Stoffwechsels gehorchend.

Welche Auswirkungen haben Ihre Forschungsergebnisse auf die Gesellschaft?
Chronische oder auch nur geringe Abweichungen in dem den Energiehaushalt regulierenden Netzwerk können entweder zu starkem Gewichtsverlust oder heftiger Gewichtszunahme führen sowie zu damit einhergehenden Stoffwechselstörungen. Besorgniserregend ist, dass die Auftretenshäufigkeit stark erhöhten Körpergewichts (also: Fettleibigkeit) über die letzten Jahrzehnte epidemische Ausmaße erreicht hat: Mehr als 30% der Bevölkerung in den Industrieländern sind offenkundig fettleibig und nahezu 10% entwickeln den mit Fettleibigkeit assoziierten Typ 2 Diabetes mellitus. Beachtenswert ist weiterhin, dass eine veränderte Regulation des Energiehaushalts und Fettleibigkeit nicht nur vorrangige Risikofaktoren darstellen für die Entwicklung dieser Diabetes-Erkrankung, sondern auch für die Entstehung von Herz-Kreislauf- und neurodegenerativen Erkrankungen, Depressionen und bestimmter Arten von Krebserkrankungen.

Zu diesem Zweck verwenden Forscher am Institut modernste Methoden und Technologien und verfolgen translationale Strategien. Letztere reichen von Studien in Zellkulturen (Entschlüsselung der zugrundeliegenden molekularen Mechanismen), bis hin zu solchen an Modellorganismen, die Regulationsmechanismen beschreiben. Schließlich werden Hypothesen getestet und überprüft, die aus diesen Ansätzen abgeleitet wurden: mittels funktionaler Bildgebung bei gesunden Probanden sowie bei Patienten, die an Fettleibigkeit oder an mit Fettleibigkeit assoziierten Erkrankungen leiden. Dieser translationale Ansatz ist Thema meiner Forschungsgruppe; wir erhoffen dadurch letztens die beschriebenen Krankheitsmechanismen besser zu verstehen und daraus präventive und therapeutische Optionen abzuleiten.

Inwieweit nimmt Ihr Forschungswissen Einfluss auf Ihr Privatleben?
Durch die Beschäftigung mit dem Thema habe ich selber angefangen verstärkt auf eine ausgewogene und kalorien-reduzierte Ernährung und regelmäßige Bewegung zu achten.

ZUR PERSON
Dr. Marc Tittgemeyer erhielt sein Diplom (Geophysik) und seinen Doktortitel (Dr. rer. nat., Physik) von der Technischen Universität in Karlsruhe. Für eine Postdoc-Phase wechselte er dann nach Leipzig an das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften und wurde in der Abteilung für Kognitive Neurologie in das Gebiet der Neurowissenschaften und in die (präklinische) Medizin eingeführt. Später arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am selben Institut bis zu seinem Wechsel nach Köln, wo er zunächst eine Forschungsgruppe leitete, die mit der Abteilung für Neurologie am Max-Planck-Institut für neurologische Forschung verbunden war. Nach der Neuausrichtung des Instituts zum Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung im Jahr 2010 erhielt er den Status als unabhängiger Forschungsgruppenleiter und gründete die Gruppe für “Translationale Neurowissenschaften”. Neben dem Max Planck Institut ist Dr. Tittgemeyer Fakultätsmitglied des Kölner Excellenscluster CECAD und der Graduiertenschule zu Alterungsprozesses und altersassoziierter Erkrankungen.