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Prof. Klein © Michael Klein

Gesellschaft unter Veränderungszwang

Neue Verhaltensweisen werden zum Automatismus

Gesellschaft unter Veränderungszwang – Von der Schwierigkeit, alte Gewohnheiten loszuwerden | Eine psychologische Betrachtung von Prof. Dr. Michael Klein

Schnelle und nachhaltige Veränderung tun in Zeiten von Corona Not. Die Veränderung menschlicher Gewohnheiten gehört zu den zentralen Forschungsthemen der Gesundheitspsychologie und der Klinischen Psychologie. Die Suchtforschung hat schon vor Jahren herausgearbeitet, dass menschliche Veränderung bei hartnäckigen Verhaltensgewohnheiten einer Phasenfolge gehorcht, die nacheinander absolviert werden muss. Am Anfang jedes Veränderungsprozesses steht die Wahrnehmung, dass irgendetwas nicht stimmt und dass die Fortsetzung des status-quo riskant sein könnte.

Die sechs Phasen der Veränderung

Der Suchtforscher und Psychologieprofessor William Miller sieht den Übergang von der (1) Vorbesinnungs- zur (2) Besinnungsphase als entscheidend dafür, dass Zweifel am eigenen Verhalten entstehen. Vorbesinnung heißt, dass ich alle Eindrücke und Wahrnehmungen, dass etwas mit mir und meinem Verhalten nicht stimmt, unterdrücke, nicht wahrnehme oder so verzerre, dass ein weiteres Nachdenken darüber nicht nötig ist. In dieser Phase besteht keine Einsicht in die Notwendigkeit einer Änderung. In der Besinnungsphase entsteht die Erkenntnis, dass man sich verändern muss. Auf die jetzige Corona-Krise übertragen bedeutet dies, dass Menschen sich mit der Lage auseinandersetzen, Informationen besorgen und bewerten und daraus Entscheidungen zu nachhaltigen Verhaltensänderungen vorbereiten. Dies bezieht sich auch auf liebgewordene, scheinbar unveränderliche Gewohnheiten, vom Ins-Gesicht-Fassen, über den morgendlichen Café-Besuch bis zum Bundesligaspiel am Wochenende.

Veränderung wird praktisch

In der Phase der Entscheidung (3) entwickeln Menschen oft unter Stresserleben die nötige Energie zur Revision und Neuentwicklung des eigenen Verhaltens. Impulsive Personen zeigen in dieser und der folgenden Handlungsphase (4) oft „überschäumendes“, impulsives Verhalten in Richtung Aktionismus, während depressive oder ängstliche Personen Veränderungen eher langsam, skeptisch oder negativistisch angehen. Wichtig in der Entscheidungsphase ist ein klares emotionales Bekenntnis zu neuem Verhalten, verbunden mit der Einschätzung, die notwendige Veränderung auch erreichen zu können. In der Veränderungsphase werden die nötigen Schritte für Veränderungen ausprobiert, ggf. mit Hilfe anderer. Sich bspw. nicht mehr ins Gesicht zu fassen, können Menschen erreichen, indem sie für die zugrundeliegenden Automatismen achtsamer werden, im Problemfall Bewegungsabläufe unterbrechen oder sich die Rückmeldungen anderer einholen.

Training hilft

Die erreichten Verhaltensänderungen müssen nun vertieft werden. Die (5) Stabilisierungs- und Trainingsphase beginnt! Studien haben gezeigt, dass neue Verhaltensweisen, die nicht zum bisherigen Verhaltensrepertoire eines Menschen gehören oder sogar seinem evolutionären oder kulturellem Erbe widersprechen („social distancing“), über mehrere Tage und oft auch mehr als 60-80 mal wiederholt werden müssen. Also ist Üben und Wiederholen angesagt! Nur so werden neue Verhaltensweisen zum Automatismus. Dies ist eine besonders wichtige Lehre aus der Suchttherapie. Die jetzt in der Corona-Krise geforderten Veränderungen sind vergleichsweise einfacher.

Sollten (6) Verhaltensrückfälle auftreten, ist es wichtig, dass dies nicht zu Resignation oder Selbstaufgabe führt, sondern dass sie Anlass für weitere Anstrengung und Lernbemühungen sind.

Der Text ist eine gekürzte Version. Den kompletten Text (PDF) können Sie hier nachlesen.

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Prof. Dr. Michael Klein lehrt Psychologie im Fachbereich Sozialwesen an der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Köln. Mehr über ihn erfahren Sie auf seiner Homepage.
Wir danken ihm für dieses Statement.