KWR Kölner Wissenschaftsrunde

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documenta fifteen

Was ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt?

Ein Wandbild mit antisemitischen Darstellungen hat bei der Kunstausstellung documenta fifteen in Kassel heftige Kritik ausgelöst. Das Gemälde ist zwar mittlerweile abgebaut worden, die Diskussionen rund um das umstrittene Bild halten jedoch an. Prof. Dr. Rolf Schwartmann von der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht spricht im Interview über die Grenzen der Kunstfreiheit.

Prof. Schwartmann, inwiefern ist die Kunstfreiheit eigentlich gesetzlich verankert?
Die Kunstfreiheit ist im Grundgesetz verankert – und zwar in Artikel 5. Dort heißt es: ,Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei‘. ,Frei‘ bedeutet nach dem Wortlaut des Grundgesetzes zunächst, dass die Kunst an sich keine Grenzen haben soll. Allerdings greifen so genannte verfassungsimmanente Schranken. Diese bestehen darin, dass Kunst nicht gegen andere Verfassungsgrundsätze oder die Rechte anderer Personen verstoßen darf. Sonst hätte der Sprayer von Zürich Harald Naegeli ja unter dem Deckmantel der Kunst fremde Häuser besprühen dürfen. Kunst ist also frei, aber wie jedes andere Recht außer der Menschenwürde nicht schrankenlos.

Wo liegen in der juristischen Praxis die Grenzen zwischen Kunst und strafbarem Handeln?
Eine klare Grenze lässt sich nicht so einfach definieren. Ob etwas von der Kunstfreiheit gedeckt ist oder nicht, ist letztlich immer eine Einzelfallentscheidung. Ein gutes Beispiel ist das Gedicht ,Schmähkritik‘ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, das der TV-Satiriker Jan Böhmermann 2016 in seiner Show ,Neo Magazin Royale‘ vortrug. Das Gedicht kann man als den Versuch deuten, die Kunstfreiheit zu einer Art Überrecht zu erhöhen, indem eine Person beleidigt und dies mit der Kunstfreiheit gerechtfertigt wird. Mit Erdoğan hat Böhmermann es sich dabei vermeintlich einfach gemacht und eine durchaus streitbare Person ausgesucht – allerdings haben auch solche Personen Rechte, die es zu wahren gilt. Der Fall ist am Ende vor Gericht gelandet und wurde sehr differenziert betrachtet. So wurden einige Stellen als zulässig eingestuft – zum Beispiel die Passage ,Er ist ein Mann, der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt‘, weil die Äußerung an die Niederschlagung von Demonstrationen in der Türkei erinnert, bei der die Polizei Gesichtsmasken trug. Die Passage hat also Sachbezug und ist demnach von der Kunstfreiheit gedeckt. Bei anderen Äußerungen fehlte dieser sachliche Bezug. Diese hat das Gericht daher als verboten eingestuft und untersagt. Sachbezug ist somit entscheidend, ist aber in jedem Fall individuell zu prüfen. Ob etwas von der Kunstfreiheit gedeckt ist oder nicht, ist letztlich immer eine Einzelfallentscheidung.

Wie ordnen Sie die aktuelle Debatte um die documenta ein?
Es ging ja zunächst einmal darum, dass sich ein Kunstwerk mit einem gesellschaftskritischen Thema, nämlich dem Komplex aus Macht und Unterdrückung, auseinandersetzt. Wenn Menschen im Rahmen von Kunst so etwas tun, dann dürfen sie das auch auf eine intensive Art und Weise tun. Bei dem Wandbild ,Peoples Justice‘ war unter anderem Kritik an Israel und dem Mossad, dem israelischen Geheimdienst, untergebracht. Das ist natürlich erst einmal legitim. Man darf im Rechtsstaat jeden Staat, jede Einrichtungen oder jede Organisation kritisieren. Dabei muss man sich aber innerhalb der Grenzen des Erlaubten bewegen. Die gewählten Darstellungen – ein orthodoxer Jude mit Raffzähnen, Hakennase und SS-Runen sowie ein Soldat mit Schweinegesicht, der einen Helm mit der Aufschrift ,Mossad‘ trägt – haben die Grenze zum Antisemitismus meiner persönlichen Meinung nach aber überschritten und ich finde es demnach richtig, dass das Bild abgebaut wurde.

Sind die Darstellungen strafrechtlich relevant?
Wenn man über die Strafbarkeit eines Verhaltens spricht, dann hat man es zumeist mit einem sehr komplexen Vorgang zu tun. Ob es sich bei den umstrittenen Abbildungen etwa um eine strafrechtlich relevante Volksverhetzung handelt, lässt sich nicht so einfach aus dem Stegreif sagen. Der Fall muss genau beleuchtet werden und die Entscheidung, ob das Bild gegen geltendes Recht verstößt, ist letztlich einem Gerichtsurteil vorbehalten. Deswegen bin ich der Meinung, dass man sich unabhängig von der Frage der Strafbarkeit von Darstellungen und Äußerungen distanzieren kann und gegebenfalls muss. Das ist dann eine Frage der Haltung. Eine strafrechtliche Einordnung verlangt eine intensive Überprüfung und ist etwas anderes. Eine rechtlich relevante Verurteilung ist Sache der Gerichte.

Manche Betrachter*innen bewerten das Abhängen des Werkes als Zensur. Wie sehen Sie das?
Zensur ist ein staatliches Verhalten zur Verhinderung von Meinungen. Die Angst vor Repression erzeugt die berühmte Schere im Kopf. Das bedeutet, dass eine Darstellung oder Meinung verboten wird, bevor jemand sie zeigt oder äußert. Es handelt sich im Fall der documenta also schon allein deshalb nicht um Zensur, weil das Kunstwerk bereits in der Welt war. Die Entscheidung, es zu verhüllen und letztlich abzubauen, gehört zur Freiheit der Verantwortlichen. Diese mussten ja übrigens auch schon vor der Ausstellung entscheiden, was gezeigt wird und was nicht, ohne dass das als Zensur bezeichnet werden könnte. Auch ein Nein und Abstand nehmen ist ein Akt der Freiheit. Dass sich die Bundesregierung deutlich von dem Wandbild distanziert und die Darstellungen kritisiert hat, ist auch nicht als Zensur zu bewerten, wie an mancher Stelle zu lesen ist. Da es sich bei der documenta um eine staatlich geförderte Kunstausstellung handelt, ist eine Positionierung nach meiner Ansicht legitim und angebracht.

Dr. Rolf Schwartmann ist Professor für Bürgerliches Recht und insbesondere öffentliches und internationales Wirtschaftsrecht an der TH Köln und leitet die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht.

Vollständige Quelle: TH Köln